Die Sitzung im Juli und die letzte vor der Sommerpause fand am 4. Juli statt. In ihr gab es eine kombinierte Expert*innenanhörung und Senatsbefragung zu den Punkten “linksextremistische Szene in Hamburg, Deutschland, Europa” und “Rolle der Polizei/Vorwürfe gegen die Polizei”. Außerdem ging es um die Erkenntnisse des Dezernats Interne Ermittlungen (DIE) der Innenbehörde.

Für einen detaillierten Blick auf die Äußerungen sei auf das Wortprotokoll verwiesen. Dieser Bericht schildert meine Eindrücke und beschränkt sich auf einige Kernelemente und Schlussfolgerungen meinerseits.

Tagesordnung Wortprotokoll der Bürgerschaft

Als Auskunftspersonen für den ersten Punkt der Anhörung waren folgende Personen geladen:

Für den zweiten Punkt zur Rolle der Polizei waren insbesondere geladen:

Linksextremistische Szene in Hamburg, Deutschland, Europa

Im Folgenden werde ich die wichtigsten Punkte aus der Befragung unkommentiert darstellen. In jedem Abschnitt ist deutlich wer die Quelle der im Konjunktiv wiedergegebenen Äußerungen war. Etwaige Widersprüche sind ebenso unkommentiert.

Hamburger Szene (Erkenntnisse des Senates)

Eine linksextremistische Szene an sich gebe es nicht. Stattdessen gebe es viele Gruppen, die nebeneinander und teilweise gegeneinander existierten. Einig seien sie sich gegen die Polizei und Deutschland. Die Art des Kampfes sei ungleich. Einige befürworteten Gewalt während andere diese ablehnten. Ebenso gebe es kein einheitliches Bild für eine Gesellschaft nach der Revolution. Eine zeitweise Kooperation sei aber möglich.

In Hamburg gebe es insbesondere drei Gruppierungen im linksextremistischen Bereich. Dies seien die Hamburger Autonomen, welche in der Roten Flora organisiert sind, die Interventionistische Linke und der Rote Aufbau Hamburg. Dabei sei die Interventionistische Linke (IL) eine postautonome Gruppe und der Rote Aufbau anti-imperialistisch eingestellt.

Die Autonomen lehnten hierarchische Strukturen ab, hätten kein einheitliches Weltbild, strebten die Zerschlagung des Staates an und akzeptierten Militanz als legitimes Mittel des Protests. Der Rote Aufbau Hamburg sei gegen große Konzerne, grenze sich ab zu den Autonomen, wolle nicht das bürgerliche System bekämpfen, habe gleichwohl Hass auf das System und finde Gewalt akzeptabel. Die IL habe einen Konsens zwischen vielen autonomen, postautonomen und extremistischen Gruppen hinsichtlich G20 hinbekommen, sei für die Abschaffung der Strukturen Deutschlands und suche nicht Gewalt, lehne sie aber auch nicht ab.

Veränderungen in der linken Szene (nach Hüllen)

Die Hamburger Szene befinde sich in einem Umbruchprozess. Ideengeschichtlich seien die Linken an die Aufklärung angebunden, die Orientierung an Utopien breche aber zunehmend weg. Stattdessen träten Feindbilder in den Vordergrund. Diese Umorientierung gehe mit einer höheren Aggressivität einher.

Insgesamt würde die linksextreme Szene in Europa kleiner und aggressiver. Es gebe ein hohes Selbstbewusstsein in Hochburgen wie Hamburg. Die politische Fokussierung auf den Islamismus sorge für einen geringeren Aufklärungsdruck und linke Gewalt sei gesellschaftlich akzeptabler als rechte Gewalt. Jenseits der autonomen Szene bilde sich auch zunehmend eine postautonome Szene, die genau planten und eine “Revolution” machen wollten. Dabei seien sie auch strategisch und strebten an Bündnisse weit in die (auch bürgerliche) Gesellschaft zu bauen. Maßgeblich für diese postautonome Szene sei die Interventionistische Linke zu nennen.

Während früher gegolten hätte, das Unbeteiligte nicht zu schaden kommen dürften, so sei dies immer weniger Leitlinie von linksextremen Gruppierungen. Anhand von Erhebungen des BKA sei deutlich, dass zunehmend eine Tötungsabsicht gegenüber wahrgenommenen Vertreter*innen des Staates vorhanden sei. Wenn entsprechende Taten passierten, gebe es auch keine Distanzierung davon.

Hintergründe der Eskalation am Freitagabend (nach Enzmann)

In einem großen Maße waren auch nicht-politische Menschen aktiv. Für die Eskalationsdynamik kämen mehrere Faktoren zusammen. Zum einen eine Liveberichterstattung, die eine konstante Untergangsstimmung präsentierte, dann der Ort des Geschehens - das Szeneviertel der Schanze - und die ständige Konfrontation mit der Polizei, wobei die Hubschrauber auch weiter entfernt wohnende Menschen konstant an das Geschehen erinnerten. Hinzu komme, dass ca. 10% der Jugendlichen die Polizei nicht als legitim ansähen. Die Kombination aus den genannten Faktoren, der bestehenden Anreisemöglichkeit und einer im Grundsatz vorhandenen Gewaltbereitschaft bei einigen Jugendlichen habe einen mobilisierenden Effekt gehabt.

Bewertung der G20-Ereignisse durch Hamburger Szene (nach Hüllen)

Die Gewaltexzesse um G20 würden als Panne gewertet. Unmittelbar am Freitagabend seien primär die Autonomen erschrocken gewesen, weil sie ihre Besitzstände zu verteidigen hatten. Die Strategie von revolutionären Gruppen sei aber derart, dass bei wahrgenommenem Rückweichen des Systemgegners die Forderungen erhöht würden. Daher dürfe G20 nicht ohne Konsequenzen bleiben, da dies ansonsten zu einer Stärkung der linksextremen Szene führe.

Reaktion der Hamburger Szene auf G20 (Erkenntnisse des Senats)

Es gebe einen Konsens sich öffentlich nicht kritisch zu anderen Gruppen zu äußern. Die Polizei sei der Erzählung nach allein Schuld an der Eskalation.

Die IL versuche das Bündnis von extremistischen bis gemäßigten Gruppen auch nach G20 am Leben zu halten. Es gebe keine öffentliche Distanzierung von der Gewalt. Der Freitagabend sei nur situativ entstanden aus der Wut über das Erlebte. Das öffentliche Gesicht der IL, Emily Laquer, habe auch bei der öffentlichen Anhörung des Ausschusses gesprochen und sich als Anwohnerin ausgegeben. Die IL wollte die Einbindung und Anerkennung in nicht-extremistischen Bereichen. Teil der Erzählung sei auch das Scheitern einer versuchten Spaltung der linken Kräfte.

Die Rote Flora habe sich anfangs distanziert von der Militanz aus Selbstzweck. Diese Distanzierung führte zu internen Auseinandersetzungen in deren Folge die Distanzierung immer weiter aufgeweicht wurde. Das Ziel der Rotflorist*innen sei die Rückgewinnung von Sympathie gewesen.

Der Rote Aufbau sehe in den erlebnisorientierten Jugendlichen eine zu organisierende Zielgruppe. Zudem habe er keine Probleme mit den Plünderungen.

Insgesamt werde G20 als Erfolg gewertet. Die Diskussion über ausufernde Gewalt nimmt immer weniger Raum ein. Neuerdings gebe es ein veröffentlichtes Schreiben, in dem die Verfasser*innen behaupteten die Geschehnisse in der Elbchaussee seien eine politische Botschaft und die Gewalt gezielt gewesen. Die IL und die Autonomen glaubten, dass Aktionen vermittelbar seien. Es sei daher ungemein wichtig, dass es Feedback zur Gewalt durch nicht extremistische Teile der Gesellschaft gebe. Insofern stünde die Hamburger Szene an einem Scheideweg.

Aktuell scheine die linke Szene weniger aktionistisch und ein wenig lethargisch. Autor*innen auf Indymedia bedauerten die Passivität und die fehlende Antwort auf “Repression”. Die beste Reaktion auf Durchsuchungen seien nach diesen Autor*innen viele verletzte Polizeibeamt*innen. Es werde auf anschlussfähige Themen gewartet.

G20 nur Teil einer Konfliktgeschichte (nach Zurawski)

G20 sei nicht der Höhepunkt an Gewalt gewesen. Auf Bildern zu den Konflikten in der Hafenstraße sehe man vermummte Menschen mit schwarzen Helmen. Im Vergleich dazu sei G20 deutlich weniger gewalttätig gewesen. Aufgrund der insgesamt abnehmenden Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft wirke vorhandene Gewalt exzessiver.

Es sei schwer ermittelbar, was der konkrete Auslöser einer Eskalation ist. Ein Indiz sei das massive Vorhandensein des “Gegners” Polizei.

Zudem sei G20 nur ein Punkt in der Geschichte eines Konfliktes. Die Proteste des Dezembers 2013 und die Gefahrengebiete seien nicht ordentlich aufgearbeitet worden. Wenn man jetzt nicht vernünftig Konsequenzen ziehe und alles aufarbeite, dann werde der Konflikt weiter im Hintergrund existieren [und bei nächster Gelegenheit wieder hervorbrechen]. Die Aufrüstung der Polizei bestätigte die Story der Linken von dem “Repressionsgegner”.

Verantwortung der linken Szene (Erkenntnisse des Senats)

Es sei falsch, wenn die Verantwortung für die Eskalation alleine auf situative Zufälle geschoben werde. Auch Gewalthooligans gehörten fest zur Strategie gegen die Polizei. Gegen 20 Uhr am Freitag seien drei Franzosen aktiv geworden. Sie hätten Störer*innen motiviert auf 10 Meter heranzugehen und von dort Steine zu werfen, da dies größere Verletzungen hervorrufe und ein weglaufen immer noch möglich sei. Insgesamt hätten ausländische Störer*innen einen großen Unterschied gemacht.

Die Hamburger Szene sei maßgeblich an der Mobilisierung beteiligt gewesen. Es seien Depots angelegt worden. Bei einer Demonstration im Vorfeld von G20 in der Nähe der Messe seien Menschen von der IL Rostock gesehen worden, die in einem Auto Waffentechnik versteckt hätten. Bei einer anschließenden Durchsuchung der IL Rostock seien viele belastende Dinge gefunden worden.

Herr S. sei der wesentliche Organisator des Camps am Vorhornweg gewesen. Bei ihm seien Präzisionsschleudern und vieles mehr gefunden worden. Ebenso sei ein handgeschriebener Zettel mit den Daten eines hochrangigen Polizeibeamten gefunden worden. Er sei zudem eine Führungsfigur beim Roten Aufbau Hamburg und wurde beim Rondenbarg festgenommen. Das Camp sei als Logistik- und Basislager verwendet worden.

Es seien insgesamt 3750 linksextreme Menschen aus Deutschland mobilisiert worden und 1600 bis 1700 aus dem Ausland. Obwohl Postautonome und Autonome grundsätzlich in Konkurrenz stünden, seien auf den Aktionskonferenzen der IL auch Vertreter*innen der Autonomen gewesen. In der Regel seien Postautonome nicht in der Roten Flora auffindbar.

Insbesondere die IL habe sehr stark mobilisiert. Sie sei auch in Italien aktiv gewesen. Sie hat zwei Aktionskonferenzen durchgeführt, ihre Vertreter*innen waren viel auf Reisen in Deutschland und im Ausland. Die Autonomen hätten hauptsächlich über das Internet mobilisiert und einige wenige Reisen in Deutschland gemacht. Der Rote Aufbau habe eine Aktionskonferenz organisiert und im Internet mit vielen Videos mobilisiert.

Es hätten “Freundschaftsbesuche” bei gewalttätigen Gruppierungen im Ausland stattgefunden. Der Aufruf zu Welcome to Hell mit dem Bild eines brennenden Hamburgs sei klar auf Gewalt hin orientiert gewesen. Die Mobilisierung hat zu einer großen Anreise nach Hamburg geführt.

Die Hamburger Szene habe ein Gemisch angerührt, den sehr gewalttätigen Teil aber anderen überlassen. Die Mobilisierung sei aber unterhalb einer Strafbarkeitsschwelle. Im polizeilichen Hellfeld gebe es keine strafrechtlich relevanten Erkenntnisse in Verbindung mit der Roten Flora.

G20 als Karneval (nach Zurawski)

Es sei eine konstante gesellschaftliche Leistung, dass die Stadt am nächsten Morgen noch ungefähr so aussieht, wie am Abend zuvor. G20 sei eine Umdrehung der Verhältnisse gewesen, ein Ausbruch aus dem Alltag. Ungefähr so wie der Karneval die Verhältnisse umdreht. Zum Teil seien die Ereignisse orchestriert gewesen. Gewaltaffine Menschen hätten bei G20 die Möglichkeit gehabt gegen die Verhältnisse vorzugehen. Je mehr Leute da seien, desto einfacher falle Gewalt. Die Dezentralisierung sei dabei aus Sicht der linksextremen Gruppen eine gute Taktik gewesen, da dadurch die Polizeikräfte aufs Stadtgebiet verteilt wurden. Die langen und engen Straßen im Schanzenviertel hätten auch zur Gewalt beigetragen.

Eskalation als geplantes Ziel (Erkenntnisse des Senats)

Auch wenn die situative Entwicklung ihren Einfluss habe, sei die Eskalation maßgeblich geplant gewesen. Ausländische Gruppen hätten sich bis zu einem Jahr auf G20 vorbereitet. Die Kriminalpsycholog*innen des LKA sehen die schwarze Kleidung als Uniform. Die Vermummung sei dabei Garant für die Taktik. Nichts sei dem Zufall überlassen. Ein günstiger Moment wird herbeigeführt oder genutzt. Gewaltanwendung werde als legitime Notwehr gegen die Systemmacht angesehen. Die Menschen seien autonom aber auch Teil einer Bewegung. Sie kämpften nach eigener Überzeugung für Menschenrechte, gegen “Unterdrücker” wie Polizeibeamt*innen, die Politik uvm. Unterstützer*innen feuerten sie an. Sie verabscheuten persönliche Verantwortung und liebten die verdeckte Situation. Die Entmenschlichung mache Gewalt nötig als Handlungsmöglichkeit. G20 war ein Anreiz mit hoher Medienpräsenz. Daraus ergäben sich Grenzen der Ansprechbarkeit und Steuerbarkeit. Eine situative Reaktion auf diese Gruppen sei nicht möglich.

Prävention gegen Linksextremismus nötig (nach Hüllen)

Die politische Bildung in Bezug zu Linksextremismus sei sehr zurückhaltend. Von 240 geförderten Präventionsprogrammen seien 85% gegen Rechtsextremismus, 4% gegen Linksextremismus und der Rest gegen Islamismus. Dabei sei sicherlich jedes Programm gegen Rechtsextremismus gerechtfertigt, aber gerade in Hochburgen linker Gruppen müsse mehr Aufklärung gegen linke Gewalt stattfinden.

Dies sei manchmal ein Problem, weil sich Lehrer*innen weigerten entsprechende Aufklärung zu betreiben aus Angst im Anschluss Ziel von linksextremen Gruppen zu werden.

Eine mögliche staatliche Reaktion wäre die Kürzung öffentlicher Gelder für linksautonome Projekte.

Prävention (nach Enzmann)

Wenn man langfristig Gewaltprävention mache, dann politisch ungerichtet. Das Ziel müsse auch eine Verbesserung der Legitimitätswahrnehmung der Polizei sein. Insbesondere mit jugendlicher Opposition müsse man anders umgehen. Bei Jugendlichen sei eine moralische Rechtfertigung für ihr Handeln vorhanden. Die Interpretation einer Situation habe großen Einfluss und bei einigen Organisationen gehöre Gewalt zur Identifikation. Wenn man internationale Organisation und Mobilisierung unter einen Generalverdacht stelle, dann könne das dazu beitragen, dass die Polizei als Gegner gesehen werde.

Auch situativ könne man viel machen. Ein massives Auftreten der Polizei eskaliere grundsätzlich. Insofern sei es die richtige Entscheidung gewesen am Freitag nicht direkt ins Schanzenviertel zu gehen. Sobald die Situation zum Eingreifen entstehe, müsse die Polizei aber auch entschieden handeln können.

Prävention langfristig denken (nach Zurawski)

Prävention müsse frühzeitig passieren. Schon in der Schule müssten Kinder und Jugendliche lernen Konflikte zivilisiert auszutragen. Das sorge dafür, dass diese Menschen als Erwachsene eine Haltung hätten. Sprachlich werde der Begriff der Gewalt immer nur für die jeweils andere Seite verwendet. Es werde leichtfertig vieles als “Gewalt” bezeichnet, um die eigene gewalttätige Handlung zu rechtfertigen. Individuelle Faktoren für Gewaltausübung seien jedoch schwer zu ermitteln.

Rolle der Polizei/Vorwürfe gegen die Polizei

Nur als Metainformation. Diese Zeilen schreibe ich etwa 3-3,5 Stunden nachdem ich das Schreiben dieses Berichts begonnen habe.

Bericht Seelsorger

G20 war einmalig für die polizeiliche Seelsorge. Es waren 50 Seelsorger*innen in Hamburg und ökomenisch organisiert. Das Gesamtbild sei nicht darstellbar.

Die Vorbereitungen liefen lange im Vorwege von G20. Eine besondere Belastung schon vor G20 war eine gefühlte und reale Bedrohungslage durch “Gegner*innen”. Die Liegenschaft in Alsterdorf an der Hindenburgstraße sei beobachtet worden durch “Gegner*innen”. In einem Fall fehlten Radmuttern von Privat-PKWs von Polizeibeamt*innen. An Briefkästen war “ACAB” geschmiert. Ein betroffener Polizeibeamter überlegte, ob er seine Dienstwaffe mit nach Hause nehmen sollte, auch wenn er dies eigentlich nicht wollte, weil er Angst um seine Familie hatte. Die Aktion “Follow Cops back Home” sei ebenso belastend gewesen. Es wurde auch kein Unterschied zwischen Uniformierten und bspw. Seelsorger*innen gemacht. Insgesamt habe es schon im Vorwege zu G20 eine hohe psychologische Belastung gegeben.

Während G20 stellten vor allem sog. Nadelstich-Angriffe eine hohe Belastung dar. Trotz hoher Belastung wollten selbst dehydrierte Einsatzkräfte schnell wieder zu ihren Einheiten. Die mangelnde Bereitschaft zu Differenzierung auf der Straße sei belastend gewesen. Auch der mangelnde Respekt machte vielen Polizeibeamt*innen zu schaffen. Das insgesamte Level war für viele neu und daher so belastend. Auch aus dem bürgerlichen Lager kam es zu Angriffen. So habe eine 70-jährige Frau einen Polizisten bespuckt. Wenn die Polizei zu jeder Beleidigung eine Strafanzeige gestellt hätte, dann säßen die Beamt*innen noch heute am Schreibtisch.

Im Nachgang zu G20 hätte es immer wieder Zweifel an der Berufswahl gegeben. Auch die mangelnde Berichterstattung über positiv verlaufene Demos hätte belastet. Aktuell gebe es kaum psychologische Belastungen. Der große Dank der Bevölkerung sei hilfreich gewesen.

Eingangsstatement Steven

Die Eskalation habe schon im Vorfeld begonnen. Am Sonntag Nachmittag vor G20 sollte das Camp in Entenwerder aufgebaut werden. Die Polizei habe die ankommenden Menschen als Gegner*innen betrachtet. Das Cornern am Dienstag sei friedlich gewesen. Dennoch sei die Polizei hineingegangen und habe Transparente beschlagnahmt. Die Teilnehmer*innen blieben friedlich. Die Polizei sei als Gegner*in deutlich geworden.

Zu Deeskalation gehöre die Haltung, dass Demonstrationen richtig und wichtig sind. Mit so einer Haltung könne man auch eine Mediation unternehmen. Laut der OSZE trage die Polizei zur Friedlichkeit bei, wenn Demonstrierende ihr Anliegen so vortragen könnten, wie es ihnen passe.

Die Integration von militanten Gruppen könne gelingen, wenn friedliche Gruppen gestärkt werden, ihre Punkte vortragen können und damit Erfolg haben.

Kritik an System Polizei ungleich Kritik an Polizeibeamt*innen (nach Zurawski)

Es sei wichtig zu verstehen, dass eine Hundertschaft aus Menschen besteht. Empathie mit den Polizeibeamt*innen sei nötig. Allerdings müsse eine systematische Kritik an der Polizei möglich sein. Zudem gebe es einen Unterschied zwischen legal, legitim und klug. Eine Polizeiaktion mag legal und sogar legitim sein und dennoch unklug. Eine selbstkritische Haltung sei vonnöten.

Die Camps hätte man anders lösen können. Eine andere Umgangsform wäre möglich gewesen. Es sollten feststehende Kanäle zwischen Polizei und Szene aufgebaut werden, damit diese im Fall der Fälle genutzt werden können.

Distanzierung von Gewalt nicht nötig (nach Steven)

Eine Distanzierung von Gewalt sei nicht nötig. Ziviler Ungehorsam sei nicht per se unfriedlich. Die Polizei habe die Aufgabe Demos zu ermöglichen und Kooperationen seien möglich.

Auffassung des Senats

Der Anspruch müsse immer ein friedlicher Verlauf von Veranstaltungen sein. Eine Auswertung von G20 sei nötig und es gebe eine Wechselwirkung mit dem Verhalten der Polizei. Im Kern sei der Ablauf aber unabhängig von der Polizei. Die größte Eskalation habe es mit Gruppen gegeben, die während G20 nicht mehr erreicht werden konnten und in Abwesenheit der Polizei.

Der Umfang an friedlichen Demos so nah am Gipfelgeschehen sei so hoch gewesen wie noch nie. Die Tanzdemo sei trotz Teilnahme durch extremistische Gruppen friedlich geblieben, weil sich die Teilnehmer*innen entsprechend verhielten. Über das Jahr gesehen gebe es nur wenige eskalierende Veranstaltungen bei den gleichen Polizeikräften. Daher sei auch die Kritik an einer Hamburger Linie fehl am Platze.

Das Camp sei der zentrale Punkt von Organisation und Gewalt gewesen. Wenn es mehrere Camps gegeben hätte, dann hätte Hamburg mehr Gewalt gesehen.

Die mögliche Kommunikation mit Hamburger Gruppierungen sei begrenzt, da einige davon den Staat nicht als legitim ansähen, wodurch die Idee einer dauerhaften Kommunikation signifikant erschwert würde.

Erkenntnisse des DIE

Bericht des DIE

Im Nachgang zu G20 wurde der Auftrag des DIE deutlich erweitert. So sollten auch Vorfälle untersucht werden, die unterhalb der Strafbarkeitsschwelle liegen. Jene Fälle wurden subsummiert unter dem Begriff Prüfsachverhalte. Im Team befänden sich auch Personen aus der Verwaltung und eine Juristin. Insgesamt wurden 400 Erkenntnisquellen recherchiert. Ergab sich bei der Untersuchung eines Prüfsachverhaltes ein Anfangsverdacht einer Straftat, wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Von 164 Prüfsachverhalten sind noch 50 offen. Insgesamt gab es 152 Ermittlungen (abgeschlossen und offen). Auch die Prüfsachverhalte wurden mit den kompletten Unterlagen inklusive der Akten aufgeklärt. Häufig bleibt eine Antwort von Geschädigten aus, was ein großes Problem darstelle. 39 Prüfsachverhalte führten zu Ermittlungen aufgrund einer Straftat. 70 Prüfsachverhalte wurden abgeschlossen mit der Erkenntnis, dass dort keine Straftat vorlag. In 39% der Fälle war die Kritik unberechtigt, in 39% der Fälle konnte die Kritik nicht untersucht werden mangels genauer Angaben und in 21% der Fälle war die Kritik berechtigt.

Teilweise fehlte ausreichende Dokumentation der Polizei. Nur 30% der Ermittlungen geht auf direkte Meldung der Geschädigten zurück. Wenn die Geschädigten unbekannt blieben, dann falle eine Ermittlung schwer.

Es wurden 186 Geschädigte ermittelt, wovon 37% unbekannt sind. Von 26% der Bekannten gab es keine Reaktion. Auch bei den Geschädigten, welche selber eine Anzeige stellten, komme oftmals keine Reaktion auf eine Anfrage. 54% der bekannten Geschädigten ohne eigene Anzeige reagierten nicht.

Es gebe 93 unbekannte Beschuldigte in Ermittlungsverfahren. In 50% dieser Fällen seien die Geschädigten unbekannt oder machten keine Angabe. In einigen der Fälle gebe es keinen polizeilichen Bericht oder die Infos aus Berichten seien unzureichend. In 9% der Fälle seien Videosequenzen nicht ausreichend auswertbar. In 17% der Fälle sind sonstige Gründe für die mangelnde Identifikation verantwortlich (bspw. Kennzeichnungen falsch abgelesen, in einem Fall konnte Kennzeichnung nicht mehr zugeordnet werden aufgrund des Ablaufs der Speicherfrist).

Bei den Prüfsachverhalten gebe es 218 Beschuldigte, wovon 96 bekannt seien. 62 davon wurden selbst ermittelt. In Einzelfällen war eine individuelle Kennzeichnung sinnvoll. 85% der Beschuldigten finden sich bei dem Einsatzabschnitt Eingreifkräfte und Gegenveranstaltungen.

Bericht der Staatsanwaltschaft

Bei der Staatsanwaltschaft seien 138 Verfahren anhängig. Davon wurden 67 mangels eines Verdachts eingestellt. In wenigen dieser Fälle handelte es sich um Pauschalanzeigen. Viele Geschehen waren unter der Straftatschwelle. Wenn eine rechtswidrige Handlung nicht bewiesen werden kann, dann wird das Verfahren eingestellt. In vielen Fällen konnte der Sachverhalt nicht ermittelt werden. In 38 Fällen wurde die Identität der Beschuldigten nicht ermittelt, allerdings wurden nur 11 davon alleinig mangels Identität eingestellt.

In bisher drei Fällen wurde eine Beschwerde über die Einstellung eingereicht, in deren Folge die Generalstaatsanwaltschaft die Verfahren überprüft habe. Allerdings seien die Beschwerden unbegründet gewesen. Bislang habe es keine Klageerzwingungsanträge gegeben. Es gebe keinen Grund an der Richtigkeit der Einstellung der Verfahren zu zweifeln. Zukünftig wird die Generalstaatsanwaltschaft alle eingestellten Verfahren in Verbindung mit G20 und beschuldigten Polizist*innen überprüfen. Dabei solle die Prüfung eines Anfangsverdachts großzügig geschehen, sodass wirklich jede kleinste Ermittlungsmöglichkeit ausgeschöpft werde.

Fazit

Fast 5 Stunden später und somit nur etwas schneller als die Sitzung selber dauerte, habe ich diesen Bericht fertiggestellt bzw schreibe diese Zeilen. Es war die letzte Sitzung vor der Sommerpause. Die nächste und letzte Sitzung wird im August stattfinden.