Am 26. November fand eine Anhörung von Auskunftspersonen zum Entwurf des geänderten Verfassungsschutzgesetz statt. Als Auskunftspersonen waren geladen:

  • Herr Professor Dr. Mattias G. Fischer von der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung (CDU)
  • Herr Alexander Kienzle, Rechtsanwalt aus Hamburg (LINKE)
  • Herr Ministerialrat Dietmar Marscholleck vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (SPD)
  • Herr Prof. Dr. Jan Dirk Roggenkamp von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (GRÜNE)

Tagesordnung

Im Folgenden werde ich die Stellungnahmen der Auskunftspersonen zusammenfassen. Im Anschluss werde ich themenbezogen die Positionen darstellen. Für die kompletten Details verweise ich auf das noch nicht verfügbare Wortprotokoll. Sobald dieses verfügbar ist, wird der Link hier eingefügt. Zum Verständnis der folgenden Aussagen empfiehlt sich die Lektüre des Gesetzesentwurfs, auf den sich die Auskunftspersonen beziehen.

Mattias G. Fischer

Herr Fischer sieht den vorliegenden Entwurf als ausgewogen und überzeugend an. Insbesondere die erstmals geregelten Anwerbe- und Einsatzbedingungen von Vertrauenspersonen werden positiv hervorgehoben. Allerdings sieht er auch Verbesserungspotential:

  • Begriff Vertrauensleute näher definieren
  • Die Kontrolle der Infos von Vertrauenspersonen sei selbstverständlich und der entsprechende Satz könne entfernt werden.
  • Verfassungsschutz sollte Erkenntnisse so häufig wie möglich öffentlich machen. Dies könne helfen Legitimationsprobleme zu beheben. Die Ausweitung der Öffentlichkeitsarbeit sei zu begrüßen. Angaben zu den Finanzen sollten im jährlichen Bericht auftauchen. Ebenso sollte es einen jährlichen Bericht zum Einsatz von V-Leuten geben.

Kienzle

Herr Kienzle sieht den Entwurf kritisch. Dieser gehe in Teilen über Bundesrecht hinaus: Die Taten von Einzelpersonen als Bestrebungen anzusehen, sei eine massive Ausweitung; ebenso werde sich von konkreten Tatbeständen gelöst. Eine Legaldefinition von Vertrauensleuten fehle und die zeitliche Einschränkung des Einsatzes der V-Leute falle weg. Der Hamburger Weg sei ein Sonderweg und es gebe Landesgesetze, die komplett auf den Einsatz von V-Leuten verzichteten.

Der Entwurf führt Regeln zur Anwerbung und dem Einsatz von V-Leuten ein. Aktuell soll von V-Leuten abgesehen werden, wenn sie von den Zahlungen des Verfassungsschutzes abhängig wären UND eine schlechtere Nachrichtenehrlichkeit zu erwarten sei. Herr Kienzle fordert die Streichung der zweiten Bedingung.

Bei der Quellen-TKÜ fragt sich Kienzle, ob Hamburg überhaupt die Kompetenz dazu habe. Der Entwurf sei zudem sehr vage, weil auch die Praxis unklar sei. Wie solle eine Kontrolle bei externer Software möglich sein? Ferner fragt Kienzle, ob die Normierung ausreichend sei, um Software überhaupt auf das abzuhörende Gerät aufzuspielen und beantwortet dies zugleich mit einem nein.

Schließlich stünden einige Dinge nur in der Begründung, nicht aber in der Norm selber: Der Entwurf sage nichts zur Rechtsgrundlage für die Offenlegung von Daten gegenüber nicht-staatlichen Stellen.

Marschollek

Herr Marschollek hat viel Lob für den Entwurf übrig. Hamburg sei Vorreiter in Sachen Quellen-TKÜ (auch im G10-Gesetz, welches gleichzeitig geändert werden soll) und bei den Daten von Minderjährigen. Die Regelanfrage beim Verfassungsschutz für Bewerber*innen zur Polizei sei sinnvoll und gut. Allerdings sollten auch nachträgliche Erkenntnisse noch wirksam werden.

Bei der Quellen-TKÜ sei insbesondere § 8 Absatz 12 Satz 2 wichtig, damit Messengerdienste überwacht werden können. Der fragliche Satz lautet: “Auf dem informationstechnischen System gespeicherte Inhalte und Umstände der Kommunikation dürfen überwacht und aufgezeichnet werden, wenn sie auch während eines laufenden Übertragungsvorgangs im öffentlichen Telekommunikationsnetz in verschlüsselter Form hätten überwacht und aufgezeichnet werden können.”

Die Ausweitung der Datenerhebung von Minderjährigen sei politisch heikel. Allerdings könne die Polizei ohne Altersbegrenzung Daten erheben; aufgrund der reinen Informationsbeschaffung des Verfassungsschutzes müsse daher alles auch dort gehen, was für die Polizei zulässig ist. Er findet den Kompromiss aber abgewogen, wichtig sei vor allem eine Kontrolle der Weitergabe der Daten von Minderjährigen: Dies dürfe erst passieren, wenn gesicherte Informationen bestünden.

Eine Offenlegung der Daten an private Stellen begrüßt Herr Marschollek und findet dies sinnvoll. Es entstünden Vorteile durch Vernetzung. Er fragt sich, ob eine Regelung zur Mitteilungspflicht an Betroffene im Nachhinein fehlt. Die Vorabanhörung von Betroffenen vor Weitergabe der Daten an private Stellen findet Marschollek problematisch.

Lücken im Entwurf seien der Mangel der Onlinedurchsuchung und die eingeschränkte Betrachtung von Einzelpersonen.

Roggenkamp

Herr Roggenkamp hat als Einziger eine Präsentation gezeigt und die Kernpunkte gut dargestellt. Er findet das Recht in Niedersachsen besser. Die Offenlegung von Daten an Dritte müsse weiter eingeschränkt werden. IT-Sicherheitslücken dürften nicht geheim gehalten werden.

Die Verarbeitung von Daten von Kindern sei ein schwerwiegender Eingriff und brauche eine ausführlichere Begründung. Der Entwurf sei zu unklar, zu niedrigschwellig und die Speicherung in amtseigenen Dateien sei problematisch im Hinblick auf die Speicherdauer in diesen Dateien.

Für die Offenlegung an nicht-staatliche Stellen sei eine unabhängige Stelle nötig, welche ihr Einverständnis geben muss. Dies sei erst Recht bei Kindern der Fall. Fraglich ist die Senkung des Alters bei der Weitergabe von Daten an ausländische Dienste. Allgemein werde mit der Offenlegung das Aufgabengebiet des Verfassungsschutzes verlassen, da mit der Offenlegung eine Außenwirkung entsteht. Ferner sei in jedem Fall eine Subsidiaritätsregel nötig und es müsse mindestens einen Leitungsvorbehalt geben, wenn nicht eine unabhängige Stelle. Ein Kompromiss wäre die Weitergabe an gefahrenabwehrende Stellen wie die Polizei oder die komplette Nicht-Einführung dieser Regelung.

Abgrenzung Quellen-TKÜ von Onlinedurchsuchung

Mattias Fischer empfiehlt die Einführung von beidem, um einer schwierigen Differenzierung zu entgehen. Marschollek sieht eine klare Trennung zwischen Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchung aufgrund der eingeschränkten Grundrechte. Es gebe Software, die könne nicht alles aber vieles und man sei auf Bundesebene fähig zur Eigenentwicklung. Die Funktionsäquivalenz (oben zitierter Satz) sei ein gangbarer Weg. Es stehe in den Sternen, ob es eine bundeseinheitliche Regelung zur Onlinedurchsuchung geben wird. Trotz des Mangels der Onlinedurchsuchung solle man aber erst einmal den aktuellen Stand sichern und dann in der neuen Legislaturperiode die Onlinedurchsuchung angehen.

Roggenkamp stellt klar: Technisch werde für Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchung das Gleiche benötigt. Bei beidem müsse mittels Sicherheitslücke eine staatliche Malware auf das Gerät gebracht werden. Sei diese einmal auf dem Gerät, könne sie theoretisch alles abgreifen. Laut Bundesverfassungsgericht müssten daher technische Vorkehrungen in der Software getroffen werden, damit diese nicht in der Lage sei alles zu tun. Die Regelung in dem Entwurf sei eine juristische Probebohrung und könne zu einer Verfassungsbeschwerde führen.

Kienzle drängt darauf, sich Gedanken zu machen, wie die Software und alles weitere kontrolliert werden könne. Außerdem seien zur Quellen-TKÜ noch Verfahren anhängig, daher sei eine Regelung zu diesem Zeitpunkt nicht nötig.

Vorratsdatenspeicherung

Alle Auskunftspersonen sind sich einig darüber, die Vorratsdatenspeicherung aktuell nicht einzuführen und auf das Urteil des EuGH zu warten. Marschollek hofft, der EuGH korrigiere seine Rechtsprechung.

Kindeswohl

Kienzle meint, der Verfassungsschutz habe wenig Kompetenz, um das Kindeswohl zu beurteilen. Die Löschungsregeln setzten zudem die Schutzerfordernisse nicht ausreichend um: Jugendsünden könnten dauerhaft mitgezogen werden, da nebulöse Erkenntnisse ausreichten, um Daten von Kindern nicht zu löschen.

Ausweitung der Altersgrenze

Marschollek findet die Altersgrenze begründbar und verständlich. Sicherheitspolitisch sei es aber besser ohne Altersgrenze. Fischer findet, die Altersgrenze sei aus Vorsicht gegenüber der öffentlichen Stimmung zum Verfassungsschutz sinnvoll. Roggenkamp findet die Ausweitung sehr kritisch, betont aber: die Ausweitung sei verfassungsrechtlich unproblematisch.

V-Leute

Minderjährige werden als Vertrauenspersonen ausgeschlossen. Laut Kienzle fehlen aber Regeln für minderjährige gelegentliche Informant*innen. Aus dem NSU sei nicht ausreichend gelernt worden, so ermöglichten die Gelder des Verfassungsschutzes erst NSU-Tätigkeiten. In die Regeln zur Abhängigkeit sollte auch das Umfeld einbezogen werden.

Fazit

Die Eingangsstatements sind natürlich verkürzt wiedergegeben. Auch im Wortprotokoll stellen die Eingangsstatements nur einen Teil der vollständigen Position der Auskunftspersonen dar. Denn einige Punkte wurden zur Vermeidung von Redundanz nicht erneut von einer Auskunftsperson vorgetragen, wenn bereits einige vorher davon sprachen.

Nach den Eingangsstatements habe ich thematisch die Antworten gruppiert. Auch hier ist es sicherlich verkürzt, sollte aber einen Überblick über die relevanten Aspekte des Entwurfs geben.