Spätestens seit März bestimmt Corona unseren Alltag: Maskenpflicht an vielen Orten und die Abstandsregelung sind die zentralen Einschränkungen, welche uns noch eine lange Zeit begleiten werden. Zwischenzeitlich wurde über Hamsterkäufe berichtet und der Lockdown war in aller Munde. All das wirkt Anfang Juli bereits als eine Geschichte aus grauer Vorzeit. Dabei liegen zu diesem Zeitpunkt (9. Juli) weniger als vier Monate zwischen dem Lockdown und den weitgehenden Lockerungen in Deutschland. In diesem Artikel möchte ich auf meine persönlichen Eindrücke eingehen und vor allem untersuchen, warum ich auf Corona so ganz anders reagiere als auf die Gefahr eines Autounfalls oder Terroranschlags.

Autos kenne ich seit meiner Kindheit, sie gehören wohl oder übel zum Leben dazu und spätestens in der Grundschule habe ich die einfachsten Regeln für mein Verhalten als Fußgänger im Straßenverkehr gelernt: Vor dem Übertreten der Straße nach links, rechts und erneut links schauen sowie auf dem Gehweg gehen. Insofern waren die Gefahren immer bewusst, aber ich habe auch früh gelernt damit zu leben und ein Gefühl dafür zu bekommen. Zudem sind Autos prinzipiell sichtbar und ich kann ihnen aus dem Weg gehen: Spaziergänge durch Fußgängerzonen oder Waldgebiete ohne Straße sind objektiv frei von der Gefahr eines Autounfalls.

Terroranschläge können zwar auch mit Autos verübt werden, aber sie zeichnen sich durch einen Überraschungseffekt aus: Wer im Voraus von konkreten Anschlagsplänen weiß, wird das entsprechende Areal weitestgehend meiden. Daher “erzielen” sie ihre intendierte Wirkung nur, wenn sie bis zur Durchführung unbekannt bleiben. Für mich bedeutet das: Ich habe zwar ein konstant diffuses Risiko eines Terroranschlags jederzeit und überall, aber es ist nie konkret. Selbst bei erfolgten Anschlägen wie auf dem Breitscheitplatz in Berlin hat mir das keine Angst gemacht. Denn ich war nicht davon betroffen und genau so ein Anschlag würde in zeitlicher Nähe wenig Aussicht auf Erfolg haben: Die Polizei war alarmiert, Vorsichtsmaßnahmen wurden erhöht und ich konnte Weihnachtsmärkte meiden. Die konkrete Gefahr für mich persönlich war also nicht gegeben.

Anders sieht es bei Corona aus: Dort gibt es eine konkrete Gefahr. Allerdings habe ich bei Corona viel mehr Angst als bei Autos. Konkret bedeutet das: Ich meide weiterhin persönliche Treffen, gehe bis auf Ausnahmen nur ca. 10 Minuten weit weg zum Einkaufen und trage die Maske jederzeit außerhalb der eigenen vier Wände - ohne Ausnahme. Diese gravierenden Einschränkungen meiner Bewegungsfreiheit habe ich mir selbst auferlegt. Nach den offiziellen Regeln könnte ich längst wieder in Deutschland verreisen und auch innerdeutschen Urlaub machen; auch persönliche Treffen mit mehr als zwei Menschen sind unter Wahrung der Abstandsregeln bereits wieder möglich. Warum schränke ich mich bei Corona derartig stark ein? Zum Vergleich: Im Hinblick auf Einschränkungen der Bürger*innenrechte bin ich mehrmals auf den “Freiheit statt Angst” Demonstrationen gegen Massenüberwachung gewesen. An solchen Stellen habe ich mich trotz geringerer unmittelbarer Einschränkung sehr stark zur Wehr gesetzt.

Um die Frage zu beantworten, werfe ich den Blick zurück auf die Terrorbedrohung: Häufig wird versucht aufgrund der diffusen Bedrohung durch Terror ganz konkret meine Freiheit einzuschränken; die Folge sind reale und dauerhafte Freiheitseinschränkungen ohne erkennbaren Gewinn. Im Falle von Corona erkenne ich den Gewinn der Einschränkung und reagiere eher kritisch auf zu schnelle Lockerungen. Das erklärt die Bereitschaft zur Einschränkung, warum aber habe ich diese große Angst und zwar immer noch? Die Fallzahlen sinken und rein statistisch ist die Ansteckungsrate in Hamburg aktuell so gering wie noch nicht zuvor seit dem Coronaausbruch.

Ein wesentlicher Aspekt scheint mir die Solidarität zu sein: die Schutzmaßnahmen vor Corona benötigen gegenseitigen Respekt und alle müssen sich daran halten, damit wirklich alle geschützt sind. Solidarität ist wunderbar, wenn sie funktioniert. Selbst auf meinen kurzen Einkaufstouren beobachte ich aber etwas anderes: viele Menschen tragen ihre Masken falsch oder fassen sich trotz Maske ständig ins Gesicht; sie halten Abstände nicht ein. Diese Eindrücke verunsichern mich, denn mein Ansteckungsrisiko hängt von diesen Menschen und ihrem Verhalten ab. Trotz mustergültigem Verhalten meinerseits kann ich mich anstecken, weil sich andere nicht an die Regeln halten. Im Gegensatz dazu kann ich alleine durch mein Verhalten mein Risiko von Autounfällen drastisch reduzieren. Dort ist mein persönliches Risiko also hauptsächlich abhängig von Faktoren, die ich kontrollieren kann.

Trotzdem gehe ich aber weiterhin einkaufen und habe auch gute Laune dabei. Nach spätestens einer halben Stunde außer Haus beginne ich aber die Folgen der Maske zu spüren: Ich kann keinen wirklichen Gedanken mehr fassen und lebe komplett im Jetzt. Das ändert sich praktisch schlagartig, wenn ich die Maske zu Hause wieder absetze: auf einmal öffnet sich die Welt und ich kann wieder Gedanken fassen und ich fühle mich nicht länger als Beifahrer meines Lebens. Vermutlich würden mir viele im Hinblick auf die Maske zustimmen, notwendig bleibt sie trotzdem.

Warum behalte ich sie aber in einem statischen Setting wie einer Ausschusssitzung auf? Dort sind die Abstände eingehalten, die Menschen sind immer die gleichen und das Risiko ist somit geringer; auch verhalten sich diese Menschen tendenziell vernünftig und beachten die Regeln. Das geht auf einen Infozettel einer Apotheke zurück, der bei mir in der Küche hängt. Dort wird empfohlen wiederverwendbare FFP2-Masken nach einmaliger Nutzung eine halbe Stunde bei 80 Grad Celsius zu backen. Die Apotheken-Mitarbeiter*innen bei mir vor Ort halten das Backen hingegen für unnötig. FFP2-Masken haben zumindest etwas Eigenschutz und dieser ist angesichts der unzuverlässigen Solidarität für mich unerlässlich. Für mich stellt sich also die Frage: Bleibt der Eigenschutz ohne Backen bestehen? Hat die Maske überhaupt noch eine Eigenschutzfunktion, wenn ich sie zwischendurch in potentiell Corona-belasteter Umgebung absetze?

Bislang halten mich diese ungeklärten Fragen davon ab, meine selbst gewählte Isolation zumindest abzuschwächen. Wären beide Fragen mit Ja beantwortet, dann könnte ich schrittweise viel mehr aus der Isolation heraus gehen. Denn dann hätte ich Freiheit ohne Erhöhung meines Risikos gewonnen. Zumindest meine politischen Termine würden dadurch erträglicher, weil ich dann zwischendurch trinken könnte und die nachteiligen Effekte der Maske ausblieben. Bis es jedoch soweit ist, falls es überhaupt dazu kommt, werde ich die Isolation wie gehabt fortführen.

Live long and prosper!