Alle Menschen haben diese Momente. Momente im Leben, in denen einfach nichts funktioniert und es kein Licht am Horizont gibt. Es können der Tod von guten Bekannten, die Trennung der Eltern, eine gescheiterte Beziehung, eine herbe Niederlage, eine zerstörte Existenz oder andere Dinge sein. In jedem Fall sind häufige Symptome so einer Situation die persönliche Niedergeschlagenheit, fehlende Antriebskraft, mangelnde Hoffnung auf eine bessere Zukunft und manchmal das Gefühl, das ganze Universum hätte sich gegen einen verschworen. Diese Momente frustrieren und lähmen. Doch sie sind gleichzeitig die entscheidenden Kreuzungen im Leben.
Jede niederschmetternde Erfahrung ermöglicht eine grundlegende Kursänderung und ein besseres Morgen. Der Weg dorthin und raus aus der Krise ist häufig steinig, nicht gleich sichtbar und viel zu oft nicht ohne weitere Krisen. Die meisten Geschichten arbeiten mit solchen Momenten, um aus einer losen Gruppe an Personen eine Gefolgschaft, vielleicht sogar Helden zu machen. Bei Herr der Ringe ist es der Moment als die Hobbits um Frodo und Sam, Gandalf, Gimli, Legolas, Aragorn und Boromir zur Gefolgschaft des Rings werden. Bis zum Ende des ersten Films hat sich eine Vertrautheit und Freundschaft gebildet, die durch alle drei Filme trägt.
Können solche U-Catastrophies (das Gegenteil von Katastrophen) auch im echten Leben passieren? Oder sind sie lediglich Teil von geschriebenen Geschichten? Es ist meine Überzeugung, dass solche U-Catastrophies auch im echten Leben entstehen können.
Berühmte Beispiele sind Hurricanes wie Katrina, die eine Schicksalsgemeinschaft entstehen lassen - in diesem Beispiel New Orleans. Diese kollektive Erfahrung ist in das Gedächtnis aller in New Orleans lebenden Menschen fest eingebrannt. Fast alle werden Leute kennen, die bei dem Hurricane ihre Existenz verloren haben.
Es braucht jedoch keine Naturphänomene, um Existenzen zu zerstören. Manchmal reicht alleine die Verkettung von Einzelereignissen, die für sich genommen noch überschaubaren Schaden anrichten, aber in Kombination eine zerstörerische Kraft entfesseln. Dafür entwerfe ich folgendes fiktives Szenario, welches jedoch durchaus realistisch ist und Menschen betreffen könnte. Daher als Disclaimer: Jedwede Übereinstimmung mit Erfahrungen anderer Menschen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt. Für dieses Szenario verwende ich eine Person namens Augustus, die 17 Jahre alt ist.
Nach einer rund einjährigen Beziehung beendet der Freund von Augustus die Beziehung. Die Folge Liebeskummer und Niedergeschlagenheit. Das alleine ist sicherlich fast allen Menschen schon einmal passiert. Doch kurz danach trennen sich auch noch die Eltern von Augustus und in Folge dessen muss Augustus eine Wohnung vom Jugendamt bekommen. Diese Dreierpackung an übertragenen Faustschlägen ins Gesicht würde viele Menschen auf den Boden zwingen. An dieser Stelle eröffnet sich eine Kreuzung im Lebensweg. Wie geht das Leben von Augustus an dieser Stelle weiter? Dies lasse ich offen, damit sich alle Leser*innen diese Situation selber vorstellen und überlegen können, wie sie in der Situation agieren würden.
Allerdings werde ich darlegen, welche Faktoren die Zukunft von Augustus maßgeblich beeinflussen. Das mache ich daran deutlich, was für mich in so einer Situation wichtig wäre.
Nach so einer Ereigniskette und nach Wegfall der Eltern als Stütze wäre es für mich zentral, dass ich Freund*innen habe, mit denen ich über die Erfahrungen reden kann und die mir eine Konstante bieten, an der ich mich orientieren kann. Dadurch könnte ich trotz aller widrigen Umstände vernünftig bleiben und mir mithilfe meiner Freund*innen eine neue Existenz aufbauen. Auch die Schule wäre in so einer Situation eine Konstante, die eine Neustrukturierung des Lebens erleichtert. Mit diesen beiden Stützen wäre es unter Umständen möglich bereits früher als sonst Verantwortung für eine eigene Wohnung zu übernehmen und somit das Leben in die eigene Hand zu nehmen. Das Ergebnis des Schicksalsschlags könnte ein gestärktes Selbstbewusstsein und eine bessere Zukunft sein.
Auf der anderen Seite könnte diese Weggabelung ebenso in den Abgrund führen. Die Schulleistungen könnten nachlassen. Es könnte Probleme mit dem Jugendamt geben und die neue Wohnung ist vielleicht in einem ganz anderen Stadtteil ohne bekannte Strukturen. Es könnte sich Traurigkeit einstellen, eventuell auch Depression. Im schlimmsten Fall könnte es zu Suizidgefährdung führen.
Etwas weniger schlimm aber dafür über einen längeren Zeitraum hatte ich tatsächlich so eine Weggabelungssituation. Vom Kindergarten bis zum Ende der 10. Klasse wurde ich gemobbt. Meinen Bruder konnte ich auch nicht unbedingt leiden. Diese dauerhaft beschissene Situation ging so weit, dass ich teilweise die Pausen vor dem Lehrerzimmer verbrachte und teilweise nicht mehr zur Schule wollte. Freund*innen hatte ich in der Zeit keine. Die einzige Freizeitaktivität waren Computerspiele.
Mein Lebensweg hätte sich an unzähligen Momenten in eine düstere Entwicklung begeben können. Stattdessen habe ich irgendwann in der 8. Klasse das Programmieren angefangen und über das Internet mitbekommen, dass es auch Menschen gibt, die mich mit meinen Fähigkeiten wertschätzen. Dies war dann meine Stütze, die bis zum Ende der Schule getragen hat. Sie ist auch der Grund dafür, dass ich mich für den Informatik-Studiengang eingeschrieben habe.
Rückblickend war dies die singulär beste Entscheidung meines gesamten Lebens. Am Informatikum habe ich eine Menge an richtig tollen Menschen getroffen. Erst in diesem Umfeld konnte ich langsam aus mir herauskommen und ein Großteil der sozialen Entwicklung nachholen, die normalerweise während der Schulzeit stattfindet.
Die weitere auch politische Entwicklung habe ich bereits hier auf der Seite niedergeschrieben. Wenn ich nicht gemobbt worden und in der Schule beliebt gewesen wäre, hätte ich vielleicht nie mit Programmieren angefangen und mein Leben könnte heute viel schlechter aussehen.
Daher komme ich zum Schluss dieses Artikels. Jeder Schicksalsschlag bietet die Möglichkeit für eine bessere Zukunft, auch wenn man sie im Moment nicht sieht. Es geht nicht ums Umfallen, sondern darum wieder aufzustehen.